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Aktuelle Nachrichten des bvvp – BW

Das Recht der Patient*innen, in die Praxis zu kommen

  • 5. Juni 2022

Ein Zwischenruf von Ulrike Böker zur Forderung nach Videobehandlung ohne Begrenzung

Derzeit erreichen uns einige Anfragen, ob wir uns nicht für die Möglichkeit einsetzen könnten, dass auch in Zukunft Videobehandlungen ohne Begrenzung abgerechnet werden können, wie das während der Pandemie bis zum Ende des ersten Quartals 2022 möglich war.

Der Bundesvorstand hat dazu eine sehr eindeutige Meinung, die ich hier begründen möchte. Dabei klammere ich die therapeutischen Aspekte mal aus, wie die besondere Qualität, die die leibhaftige Begegnung hat oder die Möglichkeit zu körpertherapeutischen Interventionen.

Zunächst: Natürlich hatten wir uns politisch auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass die Ausnahmeregelungen zumindest noch für den April verlängert werden. Doch da war leider nichts zu machen, zumal eine Änderung der Abrechnungsbestimmungen innerhalb eines Quartals grundsätzlich kaum möglich ist. Man muss inzwischen ja auch klar feststellen, dass tatsächlich keine Corona-Notsituation mehr herrscht. Ein Fortbestand von Sonderregeln wäre tatsächlich nicht angemessen.

Und selbstverständlich haben wir uns auch dafür eingesetzt, dass sich die 30-Prozent-Grenze auf alle Ziffern in Kapitel 35 beziehen sollte. Hier kamen schon positive Signale von Seiten der Krankenkassen. ich bin also zuversichtlich.

Ansonsten halte ich und der gesamte Vorstand des bvvp die Begrenzung auf 30 Prozent für sehr angemessen. Damit ist ein Umfang möglich, der individuelle Indikationen zulässt, der uns aber nicht an anderen Stellen auf die Füße fällt.

Bei der Möglichkeit zur unbegrenzten Videobehandlung wären die Kassen blitzschnell mit der Forderung da, dass man ja dann auch die Praxiskosten absenken könne und sie würden darlegen, die Strukturzuschläge seien dann wirklich langsam überflüssig. Das wäre eine honorarpolitische Katastrophe! Außerdem wäre es für sie eine wunderbare Steilvorlage um zu argumentieren, dass man auf dem Land definitiv keine neuen Sitze mehr brauche, denn die Patient*innen könnten dann ja per Video von Psychotherapeut*innen in der Stadt mitbehandelt werden. Eine derartige Entwicklung möchte ich nicht, sondern ich möchte die Möglichkeit der face-to-face-Behandlung als Goldstandard -unabhängig davon, wo der Patient oder die Patientin leben.

Und ich möchte auch keine Ausnahmeregelung für die Psychotherapeut*innen. Das schwächt unsere Position.

Mal abgesehen davon, dass es ohnehin schon eine Entwicklung zu Video-Call-Centern gibt, die Psychotherapie “von der Stange” quer übers Land anbieten. Auch die möchte ich sicher nicht befördern.

Was auch eine seltsame Entwicklung ist: Dass Ausnahmeregelungen aus der Pandemiehochzeit plötzlich zur Normalität erklärt werden. Derzeit sind wieder Behandlungen wie vor der Pandemie möglich, und dazu sollte man im Regelfall auch zurückkehren.

Wenn ich höre, dass manche Psychotherapeut*innen seit zwei Jahren keine Patient*innen mehr in der Praxis gesehen haben, dann erstaunt mich das. Und die Patient*innen machen halt in ihrer Not Vieles mit.

Wir sollten wirklich aufpassen, dass wir unseren Stand mit den Forderungen nach immer mehr Videobehandlung nicht selber aushöhlen, in unserer inhaltlichen Arbeit und bezogen auf deren Rahmenbedingungen!

Hier noch eine Anmerkung zum Schluss: Nein, der Patient / die Patientin sollte nicht das Entscheidungsrecht haben, ob er in der persönlichen Begegnung in der Praxis oder online behandelt werden möchte, denn WIR stellen die Indikation, und dazu gehört auch das Setting. Dass man in besonderen Situationen auch besondere Möglichkeiten anbietet, wie bei Auslandaufenthalten, das versteht sich von selbst. Aber bei manchen Störungen ist Video definitiv kontraindiziert, und auch manche Behandlungstechniken lassen sich nur in Präsenz anwenden. Wenn ich lese, dass Videotherapie zur Behandlung von sozialen Ängsten prima sei, dann ist dies wirklich bizarr.

Was ich hingegen als unbestrittenes Patientenrecht erachte: Patient*innen muss die Möglichkeit gegeben werden, in die Praxis zu kommen.